Zum Inhalt springen

CoKoMo2 im Interview

Unsere Fragen beantwortete Prof. Dr. Andreas Baumgart, Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg, Fakultät für Technik und Informatik.

Aktuell befinden sich rund 40 Forschungs- und Entwicklungsprojekte in der zweijährigen Umsetzungsphase. Die Projekte entwickeln untereinander kompatible Lern- und Lehrangebote für das Ökosystem von “Mein Bildungsraum“ als Vernetzungsinfrastruktur für Bildung. Was sind ihre Ziele und welche Herausforderungen haben sie auf dem Weg dorthin zu bewältigen? Wir haben für Sie bei den Projekten nachgefragt.

Was ist der Mehrwert Ihres Projektes und was hebt Sie von anderen Projekten in dem Fachgebiet ab?

Prof.Dr. Andreas Baumgart: Der Anteil von E-Learning an der Bildungsproduktion in Deutschland ist verschwindend klein. Dies ist meine persönliche Einschätzung als Hochschullehrer, Mitglied einer Lehrerinnen-Familie und Vater von drei schulpflichtigen Kindern. Dabei steht außer Frage: Die Digitalisierung kann dazu beitragen, dass Bildungsmaterialien besser als heute gefunden und wiederverwendet oder traditionelle Lehrprozesse sinnvoll durch automatisierte Prozesse unterstützt werden. Wir denken: Es ist nicht zuallererst die Technik, die da fehlt. Um das zu zeigen, haben wir früh im Projekt Stakeholder im Bildungssystem – also Lehrende, Schülerinnen und Schüler, Curricula-Ersteller, Lern-Management-Systeme (LMS), Kataloge, Lerntest-Anbieter, Bildungsmaterial-Ersteller, private Lernunterstützungen und auch futuristisch anmutende Anbieter wie automatisierte Tutoren-Systeme – zusammengetragen. Dann haben wir die Wertschöpfung zwischen ihnen analysiert und überlegt, was sie jeweils brauchen, um effizienter zu werden. Dabei haben wir festgestellt, dass das Fehlen einer zweckmäßigen, formalisierten Vereinbarung darüber, was gelehrt werden kann und soll, der zentrale Flaschenhals für neue Entwicklungen ist. Wir nennen diese fehlende formalisierte Vereinbarung Wissensmodell oder besser: einen fest umrissenen Ausschnitt dieses Wissensmodells. 

CoKoMo stellt nun ein offenes, web-basiertes Wissensmodell und sein Meta-Modell zur Verfügung, das von den unterschiedlichen Stakeholdern – Menschen wie Computern – genutzt werden kann. 

Was heißt das konkret? Bisher ist es zum Beispiel für mich schwer, passende Moodle-Aufgaben für konkrete Themen in meinem Mathematik-Unterricht zu finden. Mit unserem Wissensmodell kann eine Moodle-Aufgabe nun recht eindeutig einem unserer Wissenselemente zuordnen. Dieses Wissenselement hat eine eindeutige Identifikation (ID) und über diese ID kann ich Aufgaben sehr zielgenau finden. Und auch Computer können das.  Wir glauben, dass das von uns entwickelte Wissensmodell besonders ist, weil wir auf seine zukünftigen Anwendungen schauen. Denn: so ein Modell zu erstellen und zu bedienen kostet Zeit und Geld. Mittelfristig muss also der erwartete Nutzen größer sein als die Kosten. Wir gehen zum Beispiel davon aus, dass in Zukunft automatisierte Tutorensysteme in einem LMS den Lernenden individuell und situativ passend unterstützen werden. Das wäre ein erheblicher Nutzen! Und dafür muss unser Wissensmodell besondere Anforderungen erfüllen. Es muss Wissen in einen Kontext stellen können, zeigen, wie man beim Lernen von A nach B kommt und wieso man mit B richtig spannende Sachen machen kann. Das Modell im Internet zur Verfügung zu stellen, ist dann technisch gar nicht so schwer.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen im Projekt?

Prof. Dr. Andreas Baumgart: Unser Projekt selbst liefert keine Lerninhalte und keine Algorithmen. Wir stellen “nur” eine öffentliche Schnittstelle zwischen Menschen und Computern bereit, über die Wissenselemente und deren Bedeutungszusammenhänge eindeutig ausgetauscht werden können. Wir müssen also versuchen, uns in die beteiligten Menschen und ihre Ideen hineinzuversetzen und zu verstehen: Was brauchen diese, damit es für sie weitergeht? Was frustriert sie? Und wie gesagt: Das tun wir auch für Stakeholder, die es heute noch gar nicht gibt. Das ist eine riesige Herausforderung!

Wir beschäftigen uns dann oft mit tollen neuen Features und Apps, die man entwickeln kann - während wir die Arbeit im “Archiv” organisieren. Das fühlt sich manchmal so an, als würde man im Eisladen sitzen und nur zuschauen, wie die anderen schlecken.

Eine Herausforderung ganz anderer Art kommt aus der betrieblichen Organisation unseres Modells: Damit Bildung sich auch nach ökonomischen Gesichtspunkten ausrichten kann, braucht es vermutlich privatwirtschaftliche Unternehmen. Ein Szenario könnte eine dezentral verteilte Bildungsproduktion aus Kleinen und Mittleren Unternehmen (KMUs) in einem nicht gewinnorientierten Umfeld und dem staatlich finanzierten Bildungssystem sein. Da wird unser Modell dringend gebraucht. Aber wie soll es sich in diesem komplexen System etablieren und weiterentwickeln?

Was war Ihr bisher größtes Erfolgserlebnis?

Prof.Dr. Andreas Baumgart: Am 15. Oktober 2023 haben wir das Go-Live unseres Wissensmodells gefeiert. Unter https://cokomo.code4you.com steht die Web-Anwendung zur Verfügung, die Dokumentation findet man unter https://cokomo-it.de/. Mit einem Login von “Mein Bildungsraum” oder der Authentifizierung über ein Google-Account kann es sofort losgehen. Und über unsere Programmierschnittstelle kann man direkt auf ein erstes Wissensmodell zugreifen und ausprobieren, wie es funktioniert.

Was motiviert Sie, wenn es mit dem Projekt gerade nicht so richtig vorangeht?

Prof.Dr. Andreas Baumgart: Als Hochschullehrer sehe ich fast täglich die ungenutzten Potentiale im E-Learning. Dabei schmerzt mich vor allem, dass Ressourcen verschwendet werden. Zum Beispiel, wenn Lernmaterialien nicht effizient und zielgerichtete zwischen uns Lehrenden über unser LMS ausgetauscht werden können. Außerdem stört mich der “one-size-fits-all” Ansatz im Unterricht, der kaum Freiräume für individuelle Lernprozesse bei Studierenden lässt. Mein Gefühl ist, dass ich oft mit angezogener Handbremse unterwegs bin. Dann stelle ich mir vor, wie Bildung mit unserem Wissensmodell funktioniert und was dann alles möglich ist. Allein die Vorstellung, dass Entwickler demnächst unser Wissensmodell nutzen, um Ihre neuen Apps zu programmieren, finde ich super!

Was planen Sie für die Zukunft? 

Prof.Dr. Andreas Baumgart: Mit unserem Go-Live haben wir eine gute Grundlage, um darüber mit Menschen und Organisationen ins Gespräch zu kommen. Bis zum Projektende wollen wir mehr über unsere Zielgruppen erfahren: welchen Nutzen sehen sie in unserer Anwendung, was fehlt ihnen, welche Herausforderungen gilt es zu meistern? Und von diesen Themen wollen wir schon etwas umsetzten.
Unser zweiter Handlungsstrang ist im Moment die Ausarbeitung eines Business-Plans für den zukünftigen Betrieb unserer Web-Anwendung. Und da gibt es – wie gesagt – noch einige Herausforderungen zu meistern.