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LernGrammis2 im Interview

Unsere Fragen beantwortete PD Dr. habil. Roman Schneider, Leiter des Programmbereichs Sprachinformationssysteme in der Abteilung Grammatik des Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS), für das Projekt "LernGrammis2: Grammatik und Sprachwissen lernen".

Aktuell befinden sich rund 40 Forschungs- und Entwicklungsprojekte in der zweijährigen Umsetzungsphase. Die Projekte entwickeln untereinander kompatible Lern- und Lehrangebote für das Ökosystem von “Mein Bildungsraum“ als Vernetzungsinfrastruktur für Bildung. Was sind ihre Ziele und welche Herausforderungen haben sie auf dem Weg dorthin zu bewältigen? Wir haben für Sie bei den Projekten nachgefragt.

Was ist der Mehrwert Ihres Projektes?

PD Dr. habil. Roman Schneider: Wir bieten frei zugängliche, kostenfreie, qualitätsgeprüfte Lehr- und Lerninhalte. Im Projekt LernGrammis entwickeln wir ein digitales Angebot zur deutschen Sprache, speziell zu Grammatik und Rechtschreibung. Es richtet sich an Lernende und Lehrende in Schulen, in der Berufsausbildung, im Studium, in der Weiterbildung und Erwachsenenbildung sowie generell an die sprachinteressierte Öffentlichkeit. Ziel ist es, ihre schriftliche und mündliche Ausdrucksfähigkeit zu fördern und ihr Wissen über die deutsche Sprache und deren Anwendung zu vertiefen. Unser Angebot verfolgt hierbei einen niedrigschwelligen Ansatz, um in die Systematik der deutschen Sprache einzuführen. Das zeigt sich beispielsweise bei den Lernbausteinen für den Spracherwerb, die sich speziell an Deutschlernende richten: Die Gliederung erfolgt hier nicht wie in traditionellen Lehrwerken nach grammatischen Elementen, sondern nach sprachübergreifenden Weltwissenskategorien. Das kann den Zugang zu spracherklärenden Inhalten erleichtern, denn Kategorien wie Raum, Zeit, Ursache, Folge, Zweck, Mittel sind im Weltwissen von Menschen stark verankert. Daran lässt sich also gut anknüpfen. Grammatikunterricht sollte außerdem Alltagsbezug haben. Viele LernGrammis-Einheiten gehen von einer alltäglichen Kommunikationssituation aus, beleuchten diesen Fall und erläutern davon ausgehend grammatische Hintergründe. Ein Beispiel dafür sind unsere Lernbausteine zu "Ursache und Folge", die Sprachlernern dabei helfen, Ereignisse zu begründen und deren Folgen zu benennen. Wo immer möglich und sinnvoll, wird in LernGrammis-Einheiten außerdem das Prinzip des “Forschenden Lernens” unterstützt. Dabei entwickeln Lernende neue Fähigkeiten durch die Beantwortung maßgeschneiderter, niedrigschwelliger Forschungsfragen unter angeleiteter Anwendung von Werkzeugen, die auch ein Sprachwissenschaftler einsetzen würde. Also beispielsweise Analysesysteme für die Auswertung umfangreicher digitale Sprachdatensammlungen (Korpora). Ein Beispiel dafür ist unser Lernbaustein zu Zweifelsfällen bei starken und schwachen Verben.

Die Online-Benutzeroberfläche ermöglicht auf mehreren Wegen Zugriffe auf die Inhalte, etwa über Lernpfade, eine hierarchisch organisierte Themenübersicht und visuell aufbereitete Schlagwortwolken, sogenannte “tag clouds”. Außerdem können die Nutzenden über beispielhafte sprachliche Zweifelsfälle in unterschiedlichste Thematiken eintauchen, d.h. über glossenartig verfasste Antworten auf Fragen wie “Sind Unkosten keine Kosten? — Das negierende Präfix un-”. Neben Text enthält das Angebot auch andere Formate wie Grafik, Ton und Animation, die didaktisch motiviert eingesetzt werden.

Dabei hebt sich das Projekt in mehrfacher Hinsicht von einzelthematischen Angeboten ab, die es zur sprachlichen Bildung im außerschulischen Bereich gibt: LernGrammis integriert eine Vielzahl an wissenschaftlich fundierten Inhalten, die in dieser Bandbreite weder auf Bildungsservern der Länder vorhanden sind, noch als forschungsbasiertes Transferprodukt für die allgemeine Öffentlichkeit von anderen Bildungseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Hierzu gehören beispielsweise Wörterbücher, Sprachdatenbanken oder terminologische Listen zu Grammatik und Rechtschreibung.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen im Projekt?

PD Dr. habil. Roman Schneider: Uns ist klar: Grammatikunterricht ist irgendwie unbeliebt – bei Lernenden ebenso wie bei Lehrenden. Dennoch ist Grammatik notwendig: für den Spracherwerb, für die alltägliche Kommunikation oder für das Verfassen wichtiger Texte. Damit sollte der unmittelbare Bedarf für die Beschäftigung mit Grammatik und Rechtschreibung klar sein. Sprachliche Kompetenz, sprich  Lese- und Schreibfähigkeiten in unterschiedlichen Situationen, ist unverzichtbar, wenn man sich in unserer schriftbasierten und zunehmend digitalen Gesellschaft autonom bewegen und aktiv an ihr teilhaben möchte. Ob in sozialen Medien oder bei Behördengängen – ohne angemessene Sprachkompetenz kommt man in vielen Fällen nicht richtig zum Ziel.

Außerhalb des schulischen Bereichs können Interessenten sprachliches Wissen in unterschiedlichen Lehr- und Beratungsangeboten erlernen. Diese sind jedoch, wie schon erwähnt, meist auf einzelne Themen bezogen. Hier ein paar Beispiele: Kursangebote vermitteln Einzelsprachkompetenz, jedoch nicht unbedingt Einblick in die systematischen Zusammenhänge und Funktionsweisen von Sprache. Sprachberatungsangebote konzentrieren sich auf die Klärung von konkreten Einzelfällen, nicht aber auf das Gesamtsystem einer Sprache. Angebote von Universitäten in der sprachwissenschaftlichen Lehre sind per se nicht niederschwellig, da ihr Zugang auf Grund des vorausgesetzten Bildungsgrades eingeschränkt ist. Vermittlungsangebote, die Sprache für alle offen und leicht zugänglich präsentieren, konzentrieren sich oftmals auf spezielle Personengruppen oder Themengebiete oder sind in ihrer Reichweite regional oder personell begrenzt.

Ein für den praktischen Einsatz aufbereitetes Angebot wie LernGrammis kann dem entgegenwirken, indem es sprachliche Bildungsprozesse für Einzelne mit unterschiedlichem Wissensstand, Motivation und Lern-/Lehrzielen zentral zugänglich macht. Das Angebot kann darüber hinaus Lerneffizienz und -intensivität fördern, wenn es an passende didaktische Konzepte geknüpft ist. Durch interaktive Elemente kann LernGrammis den Wissenserwerb erleichtern und somit individuelle Profile besser ansprechen beziehungsweise dazu beitragen, dass Lehrkräfte ihre Lehrkonzepte effektiver umsetzen können. Eine Herausforderung dabei ist, die jeweils relevanten Inhalte gut auffindbar zu machen.

Was motiviert Sie, wenn es mit dem Projekt gerade nicht so richtig vorangeht?

PD Dr. habil. Roman Schneider: Wir möchten zeigen, dass die Beschäftigung mit Grammatik durchaus Spaß machen kann und es keineswegs nur um das Pauken von Regeln geht. Sprache – und speziell die deutsche Syntax und Morphologie – ist immer ein spannendes Zusammenspiel von Systematik und Variation. Mich motiviert unser Ziel, Wissen über Sprache für unterschiedlichste Anwendungsbereiche zu vermitteln: Insbesondere durch praxisnahe Übungen, bei denen Lernende reflektieren, erlerntes grammatisches Wissen anwenden und so erfahren, wie relevant dieses für den Alltag ist. Auf unserer Homepage haben wir einen Online-Fragebogen verlinkt, mit dem wir Nutzungserfahrungen zu LernGrammis evaluieren. Die Rückmeldungen sind grundsätzlich sehr positiv, aber wir fragen auch bewusst nach Schwachstellen im Angebot. Solche konstruktive Kritik spornt dann extrem an, weil man merkt: Da draußen gibt es Bedarfe und viele Menschen, die unsere Arbeit gewinnbringend nutzen.